
In einigen Küchen und Gaststätten in Ost-Deutschland werden sie noch benutzt, so auch in unserer Museumsküche: die legendären SUPERFEST-Trinkgläser. Es gibt sie in diversen Größen und unterschiedlichen Formen, für jeden Anlass und jedes Getränk das passende Glas. Was macht eine Sammlungsmitarbeiterin, wenn sie diese Ikone der DDR-Alltagskultur im Museumsküchenschrank findet? Natürlich bringt sie einige Gläser in Sicherheit, um sie in die Museumssammlung aufzunehmen. Und gelegentlich trinkt sie wie auch ihre Kolleg*innen ihr Wasser aus einem der im Küchenschrank verbliebenen SUPERFEST-Gläser.
Exemplarisch sei hier das 0,25 Liter fassende Trinkglas vorgestellt. Das dünnwandige Gefäß aus farblosem Glas hat eine charakteristische Wulst im unteren Drittel der Wandung, wodurch es gut in der Hand liegt. Während der Durchmesser des 13 cm hohen Glases im unteren Drittel nur 5,2 cm beträgt, hat das Glas oben einen Durchmesser von 6 cm. Der obere Glasrand besteht aus einer leichten Wulst mit Perle, hervorgerufen durch die Heißabtrennmaschine bei der Herstellung des maschinengeblasenen Glases. Nach dem Erkalten wurde etwas unterhalb des oberen Randes das Logo für Lausitzer Glas/Wirtschaftsglas in die Wandung gesandstrahlt, darunter der Markenname „SUPERFEST“ und der Füllstrich mit Inhaltsangabe „0,25 l“. Schlicht, äußerst leicht und dabei sehr robust – das Glas übersteht mehrfaches Fallenlassen, ohne dabei zu Bruch zu gehen. Es ist im wahrsten Sinne des Wortes superfest. Gläser derselben Größe lassen sich gut stapeln. Weitere Gläser mit einem Fassungsvermögen von 0,1 l, 0,2 l und 0,3 l für Saft und 0,5 l für Bier befinden sich in unserer Sammlung, ferner Sektstangen, Schnapsgläser, Cognacgläser und Eisbecher. Neben den Gläsern aus dem Museumsküchenschrank konnte durch gezieltes Sammeln exemplarisch ein großes SUPERFEST-Sortiment in die Museumssammlung aufgenommen werden.
Die Geschichte der SUPERFEST-Trinkgläser beginnt in den 1970er Jahren in der DDR. Es ist die Geschichte einer herausragenden Technologie zum Verfestigen von Glas und einer beachtlichen Formgestaltung. Der VEB Sachsenglas Schwepnitz wurde für die Massenproduktion chemisch verfestigter Trinkgläser ausgebaut.
Die Zerbrechlichkeit des Werkstoffes Glas durch Verfestigung zu verringern, war schon in früheren Jahrhunderten Ziel der Forscher und Glaswissenschaftler. Im 19. Jahrhundert entwickelte der Franzose Francois Barthelemy Alfred Royer de la Bastie (1830–1901) das Verfahren der thermischen Verfestigung: Gläser werden bis zum Erweichen erhitzt und dann schockartig abgekühlt, wodurch die Druckspannung auf der Glasoberfläche erhöht und der Bruchwiderstand gesteigert wird. Auch das Überfangen von Glas mit einer weiteren Glasschicht kann zur Verfestigung beitragen. Bei der chemischen Verfestigung (CV) der SUPERFEST-Gläser wird auf der Glasoberfläche ein Ionenaustausch vorgenommen. Die Gläser werden auf 400 °C erhitzt und mit flüssigem Kaliumnitrat beregnet. In der Glasoberfläche werden kleinere Natrium-Ionen durch größere Kalium-Ionen ausgetauscht. Es entsteht eine Druckspannung, die die Bruchsicherheit erhöht. Dieses Verfahren zur Verfestigung von Hohlgläsern wurde in den 1970er Jahren in der DDR entwickelt.
1970 nahmen die Wissenschaftler Dr. W. Bergmann (VEB Jenaer Glaswerke Schott & Gen.) und Dr. P. Hirsch (Wissenschaftlich-Technisches Zentrum Technisches Glas Ilmenau) an einer internationalen glaswissenschaftlichen Tagung im Glaswerk Gus-Chrustalny östlich von Moskau teil und bekamen dort erste Kenntnisse von der chemischen Verfestigung von Glas durch Ionenaustausch. In der Folge wurde in der DDR die Entwicklung „hochfester“ Wirtschaftsgläser beschlossen. Aufgrund der vorherrschenden Rohstoffknappheit in der DDR war der Bedarf der Gastronomie an Bier-, Saft- und Schnapsgläsern nur schwer zu decken. Durch die Entwicklung „hochfester“ Gläser aus einheimischen Rohstoffen sollte die Lebensdauer der Trinkgläser deutlich verlängert und somit Energie, Material und Arbeitskräfte eingespart werden. Anfänglich wurde auch an einen Export gedacht, um die Devisen zu steigern. 1970/71 meldete der VEB Kombinat Technisches Glas Ilmenau erste Patente zur Verfestigung von Glas durch Ionenaustausch an. Die per „Ministerabkommen“ angeordnete und geförderte Entwicklung verfestigten Glases wurde von der 1973 gegründeten Abteilung Glasstrukturforschung im Zentralinstitut für Anorganische Chemie bei Dresden und wenig später vom VEB Wissenschaftlich-technischen Betrieb für Wirtschaftsglas (WTB) in Bad Muskau übernommen, beteiligt war auch der VEB Glasofenbau Jena. Die maschinelle Produktion des geblasenen Glases wurde durch die Lieferung einer japanischen Rotationsblasmaschine 1975 vorangebracht. Die chemische Verfestigung der Gläser konnte schließlich 1977 zum DDR-Wirtschaftspatent Nr. 157966 angemeldet werden. Der Weg zur Großproduktion von chemisch verfestigten Gläsern war somit frei. Sie erhielten den Namen „CEVERIT“: „CE“ stand dabei für „chemisch“, „VER“ für „verfestigt“ und „IT“ sollte den silikatisch-mineralischen Charakter bei der Verfestigung ausdrücken.
Die Großproduktion der CEVERIT-Gläser (kurz CV-Gläser) wurde 1979/1980 im VEB Sachsenglas in Schwepnitz aufgenommen, wo für diesen Zweck eine großtechnische Produktionsanlage errichtet wurde. Schwepnitz war seit der Gründung einer Glashütte 1865 als Glasmacherdorf bekannt. 1980 wurden die neuen Gläser zur Leipziger Frühjahrsmesse für den Export beworben und ausgezeichnet für „Gutes Design“. Drei Jahre später, mittlerweile war die Großproduktion in vollem Gange, erhielt die Becherserie die Goldmedaille. Als Designer galten laut Urheberschein vom 10.12.1982 Paul Bittner, Tilo Poitz und Fritz Keuchel. Dass es sich bei den CEVERIT-Gläsern um ein Re-Design der sogenannten Wirtegläser von Margarete Jahny und Erich Müller handelte, wurde nicht erwähnt und wird auch in der Literatur einzig von Günter Höhne herausgestellt. Das letzte gemeinsame Projekt der beiden seit 1963 am Zentralinstitut für Gestaltung in Berlin tätigen Designer waren stapelfähige Gläser für den Gastwirtschafts- und Hotelbetrieb, die sogenannte Wirtegläser. Sie wurden ab 1973 im VEB Kombinat Lausitzer Glas in Weißwasser in kleiner Auflage hergestellt. Form und Proportionen der Wirtegläser wurden in den neuen CEVERIT-Gläsern mit verschmolzenem Rand nur leicht abgewandelt. 1983 wurde der Name der CEVERIT-Gläser geändert in SUPERFEST. Ob es an der Bedeutung des lateinischen Wortes „cevere“ („beim Beischlaf mit dem Hintern wackeln“) lag oder ob mit dem neuen Namen SUPERFEST ein Absatz im Ausland erhofft wurde, lässt sich nicht mehr feststellen.
Zwischen 1980 und 1990 wurden im VEB Sachsenglas Schwepnitz etwa 120 Millionen SUPERFEST-Gläser in diversen Größen und Formen produziert. Die Lebensdauer eines Trinkglases wurde durch die chemische Verfestigung um das 10- bis 15-fache gesteigert, ursprünglich geplant war lediglich eine 5-fache Verlängerung der Lebensdauer. Der Bedarf der Gastronomie konnte großzügig gedeckt werden.
Kurz nach der Wende stellten die Werksleitung und das Kombinat zum Juli 1990 die Produktion der SUPERFEST-Gläser ein. Die Gläser, die (fast) nicht kaputt gehen und somit auch nicht nachgekauft werden müssen, fanden keinen Absatz in der Marktwirtschaft. Der in den SUPERFEST-Gläsern wunderbar umgesetzte und heute so wichtige ökologische Gedanke spielte weder bei der Entwicklung der bruchsicheren Gläser eine Rolle, noch wurde er Anfang der 1990er Jahre mitgedacht. Das DDR-Patent zur chemischen Verfestigung durch Ionenaustausch wurde 1992 aufgegeben.
Literatur in Auswahl
Mauerhoff, Dietrich: Superfeste Gläser – Geschichte einer vernichtenden Technologie zur Herstellung von Trinkgläsern für Bier, Wein, Spirituosen und alkoholfreie Getränke, Teil 1 und 2, in: Neueste Nachrichten des Glasmuseum Weiswasser. Mitteilungsblatt des Förderverein Glasmuseum Weißwasser e. V. (01.10.2011), Nr. 22, S. 2–15 und (01.12.2011) Nr. 23, S. 1–13.
Höhne, Günter: Die Anmut des Rationalen – Margarete Jahny: Metall. Glas. Keramik. Design für die Serie. 1951 – 1990 (Schriftenreihe des Designzentrums Sachsen-Anhalt 4), Dessau 1998, S. 62f.
Höhne, Günter: Penti, Erika und Bebo Sher – Die Klassiker des DDR-Designs, Berlin 2001, S. 63, 65, 185.
Krenz, David: Zu gut, in: Zeit Magazin Nr. 46 (5.11.2020), S. 46–51.
Vitra Design Museum/Kunstgewerbemuseum, Staatliche Kunstsammlungen Dresden/Wüstenrot Stiftung (Hrsg.): Deutsches Design 1949–1989. Zwei Länder, eine Geschichte, Weil am Rhein 2021, S. 20, 291.
Filmbeitrag: Superfest-Glas: Warum die DDR-Erfindung abgewickelt wurde, Umschau MDR Fernsehen, 13.04.2021 https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/wirtschaft/video-508956.html
Trinkgläser SUPERFEST, 1980–1990
VEB Sachsenglas Schwepnitz, Betrieb des VEB Kombinat Lausitzer Glas Weißwasser
Farbloses Glas, maschinengeblasen, gesandstrahlt, chemisch verfestigt
HMKV, Inv.-Nr. I 256 a-b, I 302 a-b, I 303, I 304 a-b, I 305 a-c, I 306 a-b, I 307 a-b, I 308 a-b, I 309 a-d

