
Zu ihrer christlichen Taufe am 20. November 1825 bekam Wilhelmine Gottliebine Auguste von ihrer Taufzeugin Kathrina Barbara Weiß diesen Patenbrief geschenkt. Der Patenbrief besteht aus einem beidseitig bedruckten quadratischen Papier, das zweimal über Eck zu einem kleineren Quadrat zusammengefaltet ist (quadratischer Faltbrief).
Die Außenseite des Briefs ist mit neun kolorierten Bildchen bedruckt, deren Formate auf die Faltungen des Papiers abgestimmt sind. Die dreieckigen Bilder zeigen Szenen aus dem Leben Jesu von der Geburt bis zur Auferstehung. Das quadratische Mittelbild, das auch im zusammengefalteten Zustand des Briefs sichtbar ist, zeigt die Darstellung einer Taufe. In einer Kirche steht etwas aus der Mittelachse nach links verrückt ein schalenförmiger Taufstein auf einem würfelförmigen Sockel. Der Taufpate rechts des Taufsteins hält ein gewickeltes Kind, den Täufling, über den Taufstein. Der links des Taufsteins stehende Pfarrer segnet mit seiner rechten Hand das Kind und hält in seiner Linken ein aufgeschlagenes Buch. Hinter dem Pfarrer am linken Bildrand ist ein schwarzgekleideter Mann mit gefalteten Händen zu sehen. Am rechten Bildrand stehen hinter dem Taufpaten zwei Frauen in langen Kleidern, mit hochgesteckten Haaren und gefalteten Händen. Es handelt sich wohl um die Taufpatin und die Kindsmutter. Während die Dame vorne dem Taufakt aufmerksam folgt, hat die Dame hinten ihr Gesicht zum Betrachter gedreht. Über der Taufgesellschaft schweben dichte Wolken, aus denen zwei geflügelte Engelsköpfchen herausschauen. Entsprechend der Entstehungszeit des Patenbriefs im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts ist die Darstellung der Taufe stilistisch ins Biedermeier einzuordnen.
Die Innenseite des Briefs ist mit biblischen Sprüchen bedruckt, die dem Kind mit auf den Weg gegeben wurden. In der Mitte steht der Glück- und Segenswunsch der Taufzeugin:
„Gott bilde deine Seele rein!
Laß keinen deiner Tage seyn,
Der nicht, zu Gottes Ehre,
Reich an dem Guten wäre.
Dieses wünschet am Tage deiner feierlichen Aufnahme
unter die Bekenner der Lehre Jesu Christi
dein redlicher Taufzeuge
den [handschriftlich, braune Tinte] 20ten November;
im Jahre 18 [handschriftlich, braune Tinte] 25.
Katharina Barbara
Weiß.“
Der Patenbrief umfasste nicht nur den Glück- und Segenswunsch der Patin, er war häufig auch Geburtsurkunde und Taufzeugnis. Im linken Mittelfeld steht handschriftlich der Name des Täuflings „Wilhelmine Gottliebine Auguste“ geschrieben sowie das Geburtsdatum „27. Oktober 1825“ und das Taufdatum „20. November 1825“. Außerdem bildete der Faltbrief die Umhüllung für das Patengeld bzw. den Patentaler, der als Glücksgroschen für den Täufling übergeben und nicht ausgegeben werden durfte. Bereits der älteste überlieferte Patenbrief aus dem Jahr 1593 aus Zabern im Elsaß nennt im Text das sogenannte Göttelgeld (Patengeld), das er enthielt. Die Form des hier gezeigten quadratischen Faltbriefs war ab 1750 in Deutschland weit verbreitet und erreichte im Biedermeier einen Höhepunkt. Nur äußerst selten sind, wie bei dem gezeigten Brief, der Entstehungsort und der Hersteller des Patenbriefs genannt. Auf der Innenseite ist ganz unten zu lesen: Nürnberg in der Johann Andreä Endterischen Handlung. Die bedeutende nürnbergische Buchhändler- und Buchdruckerfamilie Endter war zwischen 1670 und 1854 tätig.
Das Brauchtum um den Patenbrief ist reichhaltig. Im Volksglauben ging von dem Brief eine besondere Schutzkraft für das Kind aus. Gelegentlich enthielt der Brief auch Brotkrumen und Salz, Samenkörner oder für Mädchen eine eingefädelte Nähnadel als symbolische Geschenke und glückliche Vorzeichen für den weiteren Lebensweg des Kindes. Je nach Region wurde der Patenbrief vor oder nach der Taufe überreicht. In Thüringen steckte die Patin oder der Pate den Brief nach der Taufe in das Taufkissen.
Aufgrund ihres großen Erinnerungswertes wurden Patenbriefe, oftmals in eine Bibel oder ein Gesangbuch eingelegt, gut aufbewahrt.
Literatur
Helling-Grewolls, Antje: Patenbriefe, in: Seyderhelm, Bettina (Hrsg.): Tausend Jahre Taufen in Mitteldeutschland (Eine Ausstellung der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen und des Kirchkreises Magdeburg im Dom zu Magdeburg 20. August bis 5. November 2006), Regensburg 2006, S. 231-234 und S. 444-448 (G 6-G 10).
Thurnwald, Andrea K.: „Kind, du bist uns anvertraut“. Geburt und Taufe im Leben fränkischer Familien und Gemeinden (Schriften und Kataloge des Fränkischen Freilandmuseums 22), Bad Windsheim 1994, S. 66-67, 69-71
Langner, Bruno: Evangelische Bilderwelt. Druckgraphik zwischen 1850 und 1950 (Schriften und Kataloge des Fränkischen Freilandmuseums 16; Kataloge des Hohenloher Freilandmuseums 9), Bad Windsheim 1992, S. 69f.
Pieske, Christa: Das ABC des Luxuspapiers. Herstellung, Verarbeitung und Gebrauch 1860–1930, Berlin 1984, S. 219-221.
Hörander, Edith: Biedermeierliche Taufbriefe. Typus – Motive – Spruchgut, in: Volkskunst 2 (1979) 4, S. 237-240.
Pieske, Christa: Über den Patenbrief, in: Beiträge zur deutschen Volks- und Altertumskunde (1958) 2/3, S. 85-121.
Schauerte, Heinrich: Volkskundliches zur Taufe, in: Zeitschrift für Volkskunde 53 (1956/57), S. 76-90.
Kelchner, Ernst: Endter, in: Allgemeine Deutsche Biographie 6 (1877), S. 110-111 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd138801290.html#adbcontent (aufgerufen am 30.7.20219:
Patenbrief, 1. Viertel 19. Jahrhundert
Gedruckt in der Johann Andreä Endterischen Handlung, Nürnberg
Papier, bedruckt, koloriert, beschrieben mit Tinte, gefaltet
Maße: 15 cm x 15,5 cm (auseinandergefaltet); 7,5 cm x 7,7 cm (zusammengefaltet)
HMKV, Inv.-Nr. II 6143





Sehr schöner Beitrag zum Thema Taufe. Welches schönes Ereignis so eine Taufe doch sein kann!
Der geschichtliche Hintergrund und die Bedeutung der Taufe wurde gut beschrieben 🙂
Bei Himmelspforten gibt es auch interessante Infos zu der Taufe:
https://www.himmelspforten.net/