Unter dem Refektorium in der Südklausur des ehemaligen Klosters Veßra schlummert ein bislang wenig beachteter und kaum untersuchter Schatz – das Lapidarium. Dieses beinhaltet eine Sammlung originaler Bauplastik und Skulpturen der Kloster-anlage, die auf Grund des Verfalls einzelner Gebäude oder im Zuge von Bauarbeiten erneuert oder aus konservatorischen Gründen ersetzt und im Gewölbekeller eingelagert wurden. Die Sammlung umfasst Steine von Fensterlaibungen und Gewölberippen, Schlusssteine, Grabsteine des ehemaligen Klosterfriedhofes, Teile romanischer und gotischer Steinskulpturen, Bruchstücke aus archäologischen Grabungen im Bereich des Kreuzganges, Teile von Säulen sowie Wappen. Im Lapidarium liegen somit Forschungsobjekte verborgen, die im Zuge einer wissenschaftlichen Untersuchung interessante Einblicke in die Formenvielfalt sowie Aufschluss über die Baugeschichte der Klostergebäude geben können.
Auch das oben abgebildete Wappen des Grafen Wilhelm IV. von Henneberg-Schleusingen aus dem Jahr 1532 wird im Lapidarium bewahrt. Eine Kopie desselben hängt heute über dem Torbogen des Torturms, unmittelbar am Eingangsbereich des Museums. Bereits hier verweist es die Museums-besucher*innen auf die einstigen Mitglieder der Gründerfamilie des Klosters, die Familie der Grafen von Henneberg. Zu seinem ursprünglichen Anbringungsort ist bekannt, dass es vermutlich an einem der Westfassade der Klosterruine vorgelagerten Torgebäude angebracht war. Das Erdgeschoss des noch in der Klosterzeit entstandenen Torgebäudes wurde später in ein 1583 errichtetes zweigeschos-siges Gebäude integriert, so dass sich das Wappen ebenso bis zum Abbruch des Gebäudes 1867 an dieser Stelle befand. Ob das aus einer nahezu
quadratischen Sandsteinplatte herausgearbeitete Wappen auch eine polychrome Farbfassung besaß, kann nur nach weiteren wissenschaftlichen Untersuchungen beantwortet werden.
Das Stammwappen der Henneberger Grafen bestand spätestens seit 1202 aus einem wachsenden Doppeladler (oben) und aus zwei Reihen geschachte Balken (unten). Vermutlich veranlasst durch den Verlust der Burggrafschaft Würzburg wurde es durch das „redende“ Wappen – Henne auf Dreiberg – ersetzt (erstmals 1232). Erst seit 1393 führte der Familienzweig der Grafen von Henneberg-Schleusingen das gevierte Wappen, bestehend aus dem alten Stammwappen und dem Hennenbild.
Im Laufe der Zeit entwickelte sich dieses Wappenschild zu einem komplexen Wappen, wie unschwer am oben gezeigten Objekt erkennbar ist. So ruht nun auf dem Hauptschild rechts und links ein gekrönter Spangenhelm. Die rechte Helmzier zeigt einen umgestülpten Hut mit einem eingesteckten Rohrkolben, die linke einen Jungfrauenrumpf ohne Arme aber mit Krone und Zopf. Aus der Krone ragt eine mit Pfauenfedern besteckte Säule empor.
Die Helmdecken fallen links und rechts des Schildes in verschnörkelten arkanthusblattartigen Bändern herab, die sich zwischen den beiden Helmen miteinander verbinden. Über den Helmzieren schwebt ein Spruchband ohne Devise. Mittig über diesem befindet sich der gekrönte Buchstabe „W“, stellvertretend für Wilhelm IV.
Die in der Helmzier der Henneberger Grafen immer wieder dargestellte Jungfrau gab schließlich Anlass zu romantischer Sagenbildung. Ludwig Bechstein nahm die über Generationen überlieferte Geschichte unter dem Titel „Die Jungfrau mit dem Zopf“ in den ersten Band seines Thüringer Sagenbuches auf:
„Ein hennebergischer Graf zog in das heilige Land, lernte dort die Tochter eines arabischen Königs kennen und gewann ihre Liebe; allein er musste die Geliebte verlassen und reiste wieder zurück in seine Heimat. Von heftiger Sehnsucht ergriffen, welche die Prinzessin nicht zu bewältigen vermag, reist dieselbe mit vielen kostbaren Schätzen dem Geliebten nach, und als sie in die Nähe von Kloster Veßra kommt, hört sie von den beiden Türmen desselben sowie in der ganzen Umgegend anhaltendes feierliches Glockengeläute und erfährt auf Nachfrage nach der Veranlassung, dass der Landesherr seine Vermählung feierte. Sie erfragt auch den Namen desselben und erfährt den ihres Geliebten. Außer sich darüber reißt sich die Morgenländerin in der Verzweiflung ihren ganzen Zopf aus, nimmt später den Schleier und verwendet all ihr Geld und Gut zu frommen Zwecken, unter welchen der Aufbau der Klostermauer zu Veßra und der Brücken zu Ober- und Untermaßfeld genannt werden.
Den Graf rührte die Liebe der fremden Prinzessin, und er ließ ihr Bild als Helmzier auf sein Wappen setzen und allenthalben anbringen. So ist dasselbe noch in Veßra, an der Brücke zu Themar, an der Kapelle neben der Obermaßfelder Brücke und anderwärts zu sehen. In Veßra fand die Araberin ihre Grabstätte.“
Wappen des Grafen Wilhelm IV. von Henneberg-Schleusingen
Sandstein
Höhe: 105 cm, Breite: 91 cm, Tiefe: 15,5 cm
HMKV, Lapidarium, Südklausur
Autorin: Denise Kirchner, Volontariat Sammlung
Weiterführende Literatur:
Bernhard Großmann, Thomas Witter, Günther Wölfing, Auf den Spuren der Henneberger, Kloster Veßra 2008, S. 84.
Siegmar Banz, Günther Wölfing, Hennebergisches Museum Kloster Veßra – Museumsführer, Kloster Veßra 1993, S. 33-39.
Verena Kessel, Johannes Mötsch, Die Grafen von Henneberg. Eine illustrierte Genealogie aus dem Jahr 1567, in: Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen Selecta 9, Frankfurt am Main 2003, S. 9.
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