Flachs, auch (Gemeiner) Lein genannt, gehört zu den ältesten Kulturpflanzen der Welt. Bereits in der Jungsteinzeit kam er vor – als natürlicher, wilder Lein, aber auch in kultivierter Form. Die Menschheit fing schon früh an, Flachs gezielt anzubauen. Die Pflanze ist schließlich vielseitig einsetzbar: Man kann Flachs essen und zu Kleidung verarbeitet tragen. Später in der Menschheitsgeschichte brachte er zudem zu Öl verarbeitet und in Öllampen eingesetzt Licht ins Dunkel und als Leinwand bietet er bis heute Platz für Kunst. Mit am bekanntesten ist zudem als Endprodukt die Leinen-Kleidung aus Flachs. Bevor etwa ab den 1920er Jahren zum Beispiel Flachserntemaschinen aufkamen, geschah die Ernte und Weiterverarbeitung von Flachs manuell. Das Objekt des Monats September ist ein sogenannter Flachsschwingstock zur Bearbeitung von Faserlein.
Der 113,5 cm hohe Schwingstock gelangte am 10. Februar 1982 aus den Staatlichen Museen Meiningen in die Sammlung des Hennebergischen Museums Kloster Veßra, zu diesem Zeitpunkt noch als Agrarhistorisches Museum des Bezirks Suhl bekannt. Der Schwingstock steht dank eines überkreuzten Holzfußes stabil auf dem Boden. Ein vertikales Stück Holz, welches in dem Fuß steckt, verläuft in geschwungener Form nach oben zu und mündet in einer Aussparung und darüber einem leichten Bogen. Eingeschnitzt in das dunkle Holz des Schwingstocks sind neben floral-ornamentalen Elementen auch die Jahreszahl „1793“ und die Buchstaben „JRR“. Der Kopf des Schwingstocks mit der Aussparung unter dem Bogen diente als Halterung für Flachsbündel.
Über die Provenienz des Objekts, also wo und wann es genau gebaut wurde und wer es einst nutzte, ist ansonsten nichts bekannt, die Inschriften sind die einzigen Indizien. So stammt dieser Schwingstock aus dem Jahr 1793 und wurde vermutlich einer Person mit den Initialen „JRR“ gewidmet, von dieser genutzt oder gebaut. Das Objekt wurde wahrscheinlich zur Flachsbearbeitung auch aktiv genutzt, da das Holz rückseitig einen abgenutzten Rand aufzeigt. Der Schwingstock weist etliche Löcher eines ehemaligen Wurmbefalls auf. Die Seite mit den ornamentalen Verzierungen und Inschriften wird eher als Schauseite fungiert haben. Ein Schwingstock dient als eines von vielen Hilfsmitteln bei der Flachsverarbeitung.
Flachs benötigt sieben Bearbeitungsschritte, sobald er reif ist und bevor er versponnen werden kann: Zuerst erfolgt die Ernte durch das sogenannte Raufen. Die Pflanze wird bündelweise mitsamt der Wurzel – so erhält sich möglichst viel Faserlänge – aus der Erde gezogen und anschließend zum Trocknen aufgehangen oder als Garben auf das Feld gestellt. Im zweiten Schritt folgt das Riffeln: Mithilfe eines Riffelkamms werden alle Samenhülsen von der Pflanze „gekämmt“. Die Samen können zu Öl weiterverarbeitet werden oder für die nächste Aussaat gesammelt werden. Schritt drei nennt sich das Rösten – oder Rotten – des Flachs‘. Dabei werden die Flachsfasern von den festen Holzbestandteilen der Pflanze gelöst. Rösten kann auf unterschiedliche Weise geschehen: Entweder wird der Flachs in eine Wassergrube oder einen Teich gelegt – oder man wählt die Tauröste. Bei der Tauröste wird der Flachs auf Wiesen oder Feldern ausgebreitet und der Tau übernimmt die Aufgabe des Gärens und Zersetzens. Im Anschluss an das Rösten kommt das Darren – oder auch Trocknen – der Pflanze. Dabei hilft entweder die Sonne, spezielle Darren, also Dörröfen, oder die Restwärme des Backofens. Ist der Flachs nun wieder vollkommen durchgetrocknet, dann wird er mithilfe einer Flachsbreche oder Walzenbreche bearbeitet. So fangen die holzigen Teile der Pflanze an aufzubrechen und die Fasern des Flachs‘ offenzulegen. Daraufhin folgt das Schwingen.
Hier kommt nun das Objekt des Monats zum Einsatz: Der Flachs wird bündelweise oben in die Aussparung am Schwingstock gehangen und mit einem Schwingmesser (auch Schwingholz) werden die groben, hölzernen Reste nach dem Brechen der Pflanze heruntergeschabt. Die andere Hand hält oben den Flachs fest, damit er nicht vom Schwingstock rutscht. Das Schwingmesser und den Schwingstock nennt man gemeinsam eine Flachsschwinge. Ein Schwingmesser ist bei dem Objekt des Monats nicht dabei. Ob ursprünglich ein zugehöriges vorhanden war, ist unbekannt. Schwingmesser sind zumeist schlichte, hölzerne Messer mit breiter Klinge. Schwingmesser aus Eisen sind zur Flachsbearbeitung nicht zu empfehlen, da sie den Flachs zu sehr beschädigen. Wer damals keine Flachsschwinge besaß, konnte sich mit einer Stuhllehne und einem Kochlöffel behilflich sein und den Flachs nach demselben Prinzip bearbeiten wie mit einem Schwingstock und Schwingmesser.
Im letzten Schritt der Flachsvorbereitung kommt noch das Hecheln mit Hechelkämmen. Letzte hölzerne Reste werden durch das Kämmen entfernt, sodass nach einiger Zeit immer feineres Leinen übrigbleibt. Wer ungeduldig beim Hecheln ist, der hat am Ende noch sogenannte Schäben in seinem Leinen. Daher kommt vermutlich auch die Bezeichnung eines „schäbigen Hemds“. Nimmt man sich aber die Zeit und entfernt sorgfältig jegliche Reste ungewollter, holziger Materialien, dann ist das Leinen im Anschluss bereit, gesponnen und zu hochwertigem Garn weiterverarbeitet zu werden.
Bereits im 19. Jahrhundert wurde Flachs zunehmend von Baumwolle abgelöst, da diese ohne größere Vorbereitung versponnen werden kann. Dennoch ist Leinen bis heute eine beliebte Naturfaser. Dass manchen Geräten zur Flachsbearbeitung von damals nicht nur eine rein funktionale Rolle zugeschrieben werden kann, belegt im Falle des vorgestellten Schwingstockes die aufwendige ornamentale Verzierung des Holzes sowie die Inschriften. Welche Bedeutung dabei den einzelnen Schnitzereien zugeschrieben werden kann, ist jedoch ungewiss. Wer könnte sich wohl hinter den Initialen „JRR“ verbergen?
Übrigens: Als Kooperationspartner von dem Projekt „1qm Lein“ befassen wir uns im Hennebergischen Museum nicht nur inhaltlich mit der spannenden Kulturpflanze, sondern säen diese auch aus, ernten und bearbeiten sie. Bei dem Projekt „1qm Lein“ dreht sich alles um den Faserlein und dessen Nutzung. Diesen Monat findet dazu auch ein Workshop bei uns im Museum statt, welcher auf reges Interesse stieß und bereits ausgebucht ist. Wir freuen uns auf das gemeinsame Brechen, Schwingen und Hecheln von Flachs!
Lea Formhals, M.A.
„Lasst uns mal rumflachsen“ – Ein Schwingstock zur Flachsverarbeitung
Schwingstock, 1793
Material: Holz
Technik: geschnitzt, gesägt, gesteckt, genagelt
Maße: 113,5 cm x 48,5 cm x 48,5 cm
Beschriftung: „JRR“ und „1793“
HMKV, Inv.-Nr. II 1101