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Sammlungsbestand zu erforschen! Kunstvolle Stirnjoche für Ochsen

Ochsen waren lange Zeit die wichtigsten Zugtiere in der Landwirtschaft. Vor einen Pflug oder Wagen gespannt wurde ihre große Zugkraft darauf übertragen. Die Art und Weise der Einspannung wurde über Jahrtausende stetig fortentwickelt. Die größtmögliche Kraftübertragung und das Wohlergehen des Zugtieres standen dabei im Mittelpunkt. Schon ab dem 4. Jahrtausend vor Christus sollen Ochsen unter Verwendung eines Jochs vor den Pflug gespannt worden sein. Als Objekt des Monats Oktober zeigen wir ein Stirnjoch aus dem 19. Jahrhundert. Es war Teil eines Zuggeschirrs und wurde mit der gepolsterten Seite vor die Stirn eines Ochsen gegürtet. In den historischen Fotoaufnahmen wird dies anschaulich (Abb. 8–9).

Das gezeigte Stirnjoch (Abb. 1–2) besteht aus einem kräftigen, gebogenen Holz, das sich an beiden Enden verjüngt. Die Vorderseite ist mit aufwendigen Schnitzereien versehen. In einem gerahmten Mittelfeld stehen zwei Löwen zu Seiten eines symmetrischen, vegetabilen Ornaments. Die Löwen wenden ihre Köpfe jeweils nach hinten und scheinen mit aufgerissenem Maul und herausgestreckter Zunge auf die das Mittelfeld flankierende Inschrift hinzuweisen: „Wagner Schmiede werden lachen“ „wenn wier unsere Wirthschaftssachen“ ist in den beiden gerahmten Inschriftenfeldern in Frakturschrift zu lesen (Abb. 3–4). An der Rückseite ist das Stirnbrett gepolstert. Der Lederbezug der Polsterung ist mit Eisennägeln am Holz befestigt. Durch zwei gesäumte Löcher in der Lederpolsterung und zwei schmale Öffnungen im Holz an der oberen Schmalseite des Stirnbretts waren ursprünglich Lederriemen gezogen, mit denen das Stirnjoch um die Hörner eines Ochsen gegürtet wurde (Abb. 5–6). An den sich verjüngenden Enden ist das Stirnbrett durchbohrt und in die Löcher sind dicke Eisenösen mit Haken geschraubt. Die Haken dienten zum Einhängen der Zugstränge.

Im Vergleich zum Schulterjoch ist die Kraftübertragung über ein Stirnjoch erwiesenermaßen größer, weshalb es auch über lange Zeit verwendet wurde. Jedoch ist die Bewegungsfreiheit des im Stirnjoch eingespannten Tieres deutlich eingeschränkt. Daher rührt auch der bis heute sprichwörtlich verwendete Begriff „Unterjochung“ zur Beschreibung einer negativen Handlung der Unterdrückung.

Das Zuggeschirr mit Stirnjoch wurde zum Brustgeschirr weiterentwickelt. Und mit der Motorisierung der Landwirtschaft wurden Ochsen schließlich als Zugtiere nicht länger gebraucht. Was geschah sodann mit den verbliebenen Stirnbrettern? Einige wurden zumindest bei Festumzügen mit Ochsengespann noch verwendet. Viele wurden auch weiterverwendet in anderer Funktion: Als Schaukeln an langen Ketten wurden sie in den Scheunen der Gehöfte aufgehängt.

An dem gezeigten Stirnbrett fällt insbesondere die Schnitzerei mit Inschrift auf, die näher untersucht werden will, auch im Vergleich mit anderen Stirnbrettern. Ein bislang öffentlich kaum bekannter, umfangreicher Bestand von geschnitzten Stirnbrettern mit bildlichen Darstellungen und Sprüchen findet sich in der Sammlung des Hennebergischen Museums Kloster Veßra. Nur Einzelobjekte daraus sind in der Dauerausstellung „Ländlicher Transport und Verkehr“ zu sehen, zwei weitere waren in der alten Dauerausstellung „Henneberg durch Land und Zeit“ ausgestellt. Der überwiegende Teil lagert noch unzureichend in einem Dachbodendepot auf dem Museumsgelände (Abb. 7). Im neuen Sammlungszentrum Henneberger Land, das dem Museum in Kürze zur Verfügung stehen wird, werden die wertvollen Museumsobjekte nun endlich nach musealen Standards untergebracht. Mit dem Umzug können die Stirnjoche erstmals genauer betrachtet und untersucht werden. Ein solcher Teilbestand wie die geschnitzten Stirnbretter könnte auch Student:innen der Europäischen Ethnologie, Kunstgeschichte oder Museologie die Möglichkeit bieten, unter Anleitung erste praktische Museumserfahrungen zu sammeln und einen spannenden Sammlungsteilbestand wissenschaftlich zu untersuchen. Das Hennebergische Museum Kloster Veßra steht für Forschung offen.

Dr. Meike Leyde

Abbildungsnachweis:

Abb. 1–7: Foto HMKV, ML

 

Abb. 8–9: Quelle: Ortschronik Gillersdorf, Lothar Buff

Stirnjoch für Ochsen, 19. Jh.

Material: Eichenholz, Leder, Naturfaser, Eisen

Maße (H x B x T) 10,5 cm x 60 cm x 7 cm

Inschrift: „Wagner Schmiede werden lachen / wenn wier unsere Wirthschaftssachen“

HMKV, Inv.-Nr. II 3487

Literatur

Schindler, Thomas: Handwerkszeug und bäuerliches Arbeitsgerät in Franken. Bestandskatalog des Fränkischen Freilandmuseums Bad Windsheim (Kataloge und Schriften des Fränkischen Freilandmuseums in Bad Windsheim 74), Bad Windsheim 2015, S. 1085.

Masson, Astrid: Handbuch Rinderanspannung – Praktischer Ratgeber zu Verhalten, Ausbildung, Beschirrung und Anspannung von Zugrindern, Berlin 2015, S. 166–167.

Götz, Lothar: Der Ochse als Kulturgut, in: Südthüringer Rundschau 24. Januar 2019 (https://www.rundschau.info/der-ochse-als-kulturgut/) (zul. auf. 24.09.2025).

https://www.zugrinder.de/de/stirnjoch-stirnjoch.html (zul. aufg. 22.09.2025).

https://fundus-agricultura.wiki/kulturtechniken/anspannen-von-zugtieren/ (zul. aufg. 22.09.2025).

Abb.2
Abb.3
Abb.4
Abb. 5
Abb. 6
Abb.7
Abb. 8
Abb. 9

Hennebergisches Museum Kloster Veßra
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