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„Liebe Kinder!“ – Zettelnachricht im Alltag

Auf dem Tisch der Wohnstube im Neubauernhaus liegt eine auf Papier gekritzelte Nachricht von der Mutter des Hauses an ihre Kinder. „Liebe Kinder!“ schrieb „Mutti“ mit Bleistift auf die Rückseite einer herumliegenden Faltkarte von Thüringen. Es folgen Anweisungen zur Erledigung von Pflichten während der Abwesenheit der Mutter:

„Liebe Kinder!

Die Kühe bleiben heute im Stall,

setzt gleich Kartoffeln auf für die Schweine

dann geht in die Christenlehre,

seht auch nach die Gänse!

Mutti.“

Vermutlich war die Mutter in Eile, als sie den Kindern die Botschaft hinterließ. Dennoch dachte sie im herausfordernden Alltag der Neubauernfamilie an eine liebevolle Anrede ihrer Kinder. Dass die Bleistift-Notiz erhalten ist, kann als kleine Sensation gelten. Sie gibt Einblicke in das Alltagsleben und die Arbeiten der Neubauernkinder.

Was sind Neubauern? Im Zuge der Bodenreform 1945–1948 in der Sowjetischen Besatzungszone wurde Personen – darunter viele Geflüchtete und Vertriebene – ein Stück Land zugewiesen, das sie als Neubauern bewirtschafteten. Das damaligen Staatsgut Kloster Veßra wurde 1945 in zehn Neubauernstellen aufgeteilt. Die fünfköpfige Familie, die das Neubauernhaus bewohnte, war 1945 ohne den Vater – er war bis 1948 in Kriegsgefangenschaft – aus ihrer Heimat Ostbrandenburg (heute Okza, Republik Polen) vertrieben worden. 1948 kamen die zwei Schwestern und ein Bruder mit beiden Eltern nach Kloster Veßra, wo eine Neubauernstelle frei geworden war. Im Oktober 1948 zogen die „Umsiedler“, wie sie schönredend genannt wurden, in das Neubauernhaus ein. Das Gebäude war in nur vier Monaten nach einem Standardbautyp im Zuge des Neubauernprogramms errichtet worden. Es ist ein Streckhof mit den Funktionsteilen Wohnhaus, Stall und Scheune hintereinander unter einem Dach.

Der Anfang in Kloster Veßra war schwer für die Familie. Alle Familienmitglieder, auch die Kinder, mussten Aufgaben auf dem Neubauerngehöft übernehmen. Die Neubäuerin hatte den Haushalt zu führen und half dem Vater auf dem Feld bei der Landwirtschaft. Ihren Kindern übertrug sie Arbeiten auf dem Hof. Die Neubauernkinder fütterten das Kleinvieh (Gänse), sie kümmerten sich um die Kühe und versorgten die Schweine, so ist es auf dem Zettel zu lesen. Mitarbeit prägte ihre Kindheit. Auch die Christenlehre war ein fester Bestandteil des Alltags. Trotz der Strenge, erfuhren die Kinder liebevolle Zuneigung, so verrät es die Notiz der Mutter.

Sind es nicht die kleinen Zeichen der Liebe, die den Alltag ausmachen? Wann haben Sie zuletzt Ihren Liebsten einen Zettel geschrieben mit kleinen Bitten und versehen mit einem Herz oder einer liebevollen Anrede? Und wann haben Sie zuletzt so eine Notiz bekommen? Gibt es sie noch, handgeschriebene Notizen aus dem Familienalltag? Schreiben Sie uns Ihre Erlebnisse in den Kommentaren.

Besuchen Sie das Neubauernhaus im Hennebergischen Museum Kloster Veßra und erfahren Sie mehr über das Leben einer Neubauernfamilie in Kloster Veßra.

Dr. Meike Leyde

Aufgabenzettel für die Kinder einer Neubauernfamilie in Kloster Veßra, [um 1949/50]

Material: Bleistift auf Papier, bedruckt

12,6 cm x 27,5 cm (gefaltet)

HMKV, Schriftgutarchiv A III Nr. 49

Literatur: Bretschneider, Uta: „Vom Ich zum Wir“? Flüchtlinge und Vertriebene als Neubauern in der LPG (Schriften zur Sächsischen Geschichte und Volkskunde 53, Leipzig 2016, bes. S. 326–333.

Hennebergisches Museum Kloster Veßra
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