Im Henneberger Land lebten und regierten zwischen dem 11. und 16. Jahrhundert die Grafen von Henneberg. Mit politischem Sachverstand und mit Liebe haben sie wesentlich die Geschichte der Region geprägt. Geblieben sind u. a. wertvolle Kunst- und Kulturschätze der Grafen von Henneberg – wie Klöster, Burgen oder Schlösser –, die bis heute von Touristen aus aller Welt und von Einheimischen gleichermaßen bewundert werden. Ein herausragendes Kunstwerk der Henneberger zeigen wir als Objekt des Monats August: die illustrierte Genealogie der Grafen von Henneberg aus dem 16. Jahrhundert. Das auf den ersten Blick unscheinbare Büchlein ist eines der kostbarsten Objekte im Hennebergischen Museum Kloster Veßra. Es umfasst auf wertvollem Pergamentpapier künstlerisch äußerst hochwertige Bilder von 16 hennebergischen Grafenpaaren und zugehörige Texte (Abb. 1). Passend zum Jahresmotto des Hennebergischen Museums Kloster Veßra zeigen die Paarbilder die Liebe der Henneberger.
Gemeinhin stellt eine Genealogie – griechisch „genéa“(„Abstammung“) und „lógos“ („Lehre“) – die Verwandtschaftsverhältnisse einer Familie bzw. einer Dynastie dar. Sie dient der Legitimierung ihrer Macht und der Repräsentation. In der 1567 datierten Genealogie wird die Dynastie der Henneberger in Darstellungen von Grafenpaaren bis ins 11. Jahrhundert zurückgeführt. In den zugehörigen Texten werden die Namen und Verwandtschaftsverhältnisse der Dargestellten genannt sowie historische Errungenschaften angeführt. Die Jahrhunderte währende Macht der Henneberger Grafen wird somit legitimiert. Möglicherweise versuchten die Henneberger aber auch, mit der kostbaren Genealogie von ihren hohen Schulden abzulenken. Darüber hinaus sind die Paarbilder der Genealogie voller Liebeszeichen. Schauen wir sie uns genauer an.
Die gräflichen Ehepaare sind jeweils in einer Landschaft stehend dargestellt. Sie tragen prächtig bunte Gewänder des 16. Jahrhunderts und zeigen ihre Familienwappen. Die Liebe und enge Bindung zwischen den Eheleuten kommen besonders in Blicken und zärtlichen Gesten zum Ausdruck. Poppo (gest. 1078) und Hildegard schauen sich verliebt mit geröteten Wangen an (Abb. 2). Wilhelm (1478–1559) und Anastasia von Brandenburg (1480–1534) halten inniglich Händchen (Abb. 3). Ihre Kleidung haben die Paare teilweise farblich aufeinander abgestimmt, wie Heinrich (1352–1405) und seine Frau Mechtild von Baden (gest. 1425) (Abb. 4). Elisabeth von Anhalt rafft sogar ihr Oberkleid zusammen, um ihrem Mann Poppo (gest. 1242) den leuchtend roten Unterrock zu zeigen (Abb. 5). Bertha (gest. 1190) reicht Berthold (gest. 1159/60) eine Nelke als Zeichen ihrer ehelichen Bindung (Abb. 6). Und Anna zu Braunschweig und Lüneburg (gest. 1426) überreicht ihrem Mann Wilhelm (gest. 1426) einen schönen Blumenstrauß (Abb. 7). Unverkennbares Liebessymbol ist der zwischen Wilhelm (1434–1480) und Margarete zu Braunschweig und Lüneburg (1451–1509) stehende Amor (Abb. 8). Amors brennende Fackel zeigt auf Graf Wilhelm und sein Bogen ist auf Gräfin Margarete gerichtet. Wie sehr die beiden ineinander verliebt waren, verdeutlicht auch Margaretes Schmuck: Um ihren Hals trägt sie eine Goldkette mit goldenem „W“ als Anhänger, Anfangsbuchstabe ihres Ehemannes Wilhelm.
Dem Künstler bzw. dem Auftraggeber der illustrierten Genealogie war es offensichtlich wichtig, neben der reinen Darstellung genealogischer Zusammenhänge insbesondere die Liebe der Menschen zu zeigen. Die Liebe der Henneberger kommt in den herausragenden Miniaturmalereien eindringlich zum Ausdruck.
Der Name des Künstlers ist unbekannt. In ihrer Untersuchung zur Genealogie legt Verena Kessel dar, dass die vorherige Zuschreibung an Nicolas Neufchâtel (1525/27–nach 1573) nicht aufrecht gehalten werden kann. Vielmehr komme möglicherweise ein Künstler im Umfeld Lucas Cranachs des Jüngeren (1515–1586) in Frage. Für eine sichere Künstlerzuschreibung bedarf es weiterer Untersuchungen.
Auftraggeber der Genealogie war vermutlich der letzte hennebergische Graf Georg Ernst (1511–1583). Das letzte Bild (Abb. 9) zeigt Georg Ernst mit seiner ersten Ehefrau Elisabeth zu Braunschweig und Lüneburg, die 1566 kinderlos starb. Mit der 1567 entstandenen Genealogie sollte die Memoria der Henneberger sichergestellt werden, das Andenken an die im Jahr 1096 erstmals urkundlich genannte Dynastie der Henneberger, deren Kinderlosigkeit 1583 zum Aussterben des Geschlechts führte.
1568 heiratete Georg Ernst ein zweites Mal. Möglicherweise war die illustrierte Genealogie auch ein Willkommensgeschenk für seine zweite Ehefrau Elisabeth Herzogin zu Württemberg (1548–1592), wie Verena Kessel plausibel darlegt. Im Zeigen der engen Liebesbeziehungen seiner Vorfahren drückt Georg Ernst vielleicht seinen Wunsch einer Liebesbeziehung mit seiner zweiten Frau Elisabeth aus. Die Luxushandschrift mit detailreichen Miniaturmalereien auf kostbarem Pergament wurde für die intensive Betrachtung konzipiert, möglicherweise als Liebesgeschenk für die Braut.
In Vorbereitung der Sonderausstellung „Liebesgrüße aus Kloster Veßra. Zur Schriftkultur der Henneberger Grafen“ im Hennebergischen Museum Kloster Veßra wurde die illustrierte Genealogie im Digitalisierungszentrum der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek (ThULB) in Jena fachkundig digitalisiert. Durch das Digitalisat ist das wertvolle Objekt für die breite Öffentlichkeit zugänglich, beste Möglichkeiten für die weitere Erforschung sind somit geschaffen. Die digitalisierte Genealogie ist dauerhaft unter folgendem Link zugänglich: https://collections.thulb.uni-jena.de/receive/HisBest_cbu_00134066. Das Digitalisat wird in der Sonderausstellung nicht nur gezeigt, sondern in einer begehbaren Rauminstallation zum Leben erweckt. Blättern Sie digital in dem wertvollen Büchlein, erkunden Sie die Genealogie der Henneberger und lassen Sie sich von den herausragenden Miniaturmalereien voller Liebe verzaubern.
Wie steht es heute mit der Liebe im Henneberger Land? Schicken Sie uns Ihre schönsten Paarbilder und erzählen Sie uns Ihre Liebesgeschichten.
Illustrierte Genealogie der Grafen von Henneberg, 1567
16 Pergamentblätter, Ledereinband, Messingverschluss
Deckfarbenmalerei, Goldfarbe, rote Tinte
21,5 cm x 16,7 cm x 2,1 cm
HMKV, Inv.-Nr. II 8123
Literatur
Mötsch, Johannes: Zwei Genealogien der Grafen von Henneberg als historische Quellen, in: Wölfing, Günther: 25 Jahre Hennebergisches Museum Kloster Veßra 1975–2000. Festschrift (Veröffentlichungen des Hennebergischen Museums Kloster Veßra 12), Kloster Veßra 2000, S. 109–132.
Kessel, Verena / Mötsch, Johannes: Die Grafen von Henneberg. Eine illustrierte Genealogie aus dem Jahr 1567 (Sonderveröffentlichung des Hennebergisch-Fränkischen Geschichtsvereins 17; Selecta 9), Frankfurt ²2008.
Wagner, Heinrich: Genealogie der Grafen von Henneberg (Sonderveröffentlichung des Hennebergisch-Fränkischen Geschichtsvereins 33), Kloster Veßra 2016.
Fotos
cc ThULB Jena