Das Objekt des Monats September widmet sich der Liebe. Als Stubenbild ist es in die Sammlung des Hennebergischen Museums Kloster Veßra aufgenommen worden. Zu sehen ist ein cremefarbener Torbogen mit goldfarbenen Verzierungen in Form aneinandergereihter Punkte und konturierender Linien. Dem Torbogen ist links und rechts je eine Säule mit Blumenbouquet aufgesetzt. Im Spitzbogen hängen an einem Seil zwei Glocken, die Silber und Gold anmuten. Geläutet werden die Glocken von einem Engel auf der rechten Bildseite. Florales Schmuckwerk rankt am unteren Bildrand entlang und an den Seiten des Torbogens hinauf. Augenscheinlich handelt es sich um Lilien, die einst golden bemalt waren. Das Blattwerk ist Grün. Zentrales Augenmerk bildet der Spruch „Alles vergeht, nur die Liebe besteht“.
Angefertigt ist das gerahmte Bild auf Papierkanevas, einem festen Papier mit regelmäßigen Perforierungen, das locker gewebten Kanevas oder Stramin aus Hanfgewebe nachahmt und besonders im 19. Jahrhundert als Handelsprodukt auf dem Markt populär war. Dieser Lochkarton dient als Grundlage für die Stickarbeiten, die auf diesem Bild den Schriftzug „Alles vergeht, nur die Liebe besteht“ ergeben. Das Garn des Schriftzugs unterscheidet sich in seiner Beschaffenheit: Während die Worte „Alles“ und „Liebe“ mit dünnen Chenillefäden in Grün und Rot gestickt sind, sind die restlichen Buchstaben mit rotem Garn gefertigt, wobei „versteht“ und „vergeht“ als sich reimende Worte ein intensiveres Rot aufweisen als „nur die“. Jeder einzelne Buchstabe der Schrift ist golden geschmückt – entweder durch rahmende oder durchbrechende Elemente, entweder unter Verwendung von Garn oder aufgefädelten Schmuckelementen. Die Initialen von „Alles“ und „Liebe“ sind zusätzlich berankt.
Abgesehen vom Schriftzug, besteht die restliche Komposition aus einem einzigen Element aus geprägtem und koloriertem Zelluloid. Das in seinem Grundton cremefarbene Zelluloid soll edle Luxusartikel wie Horn und Elfenbein imitieren, aus welchem das Bildmotiv geschnitzt wirkt. Neben Zelluloidprägungen kamen u. a. auch Kunstblumen, Farnwedel oder getrocknetes Edelweiß als Zierde zum Einsatz.
Das Bildthema unseres Objekts des Monats ist die immerwährende Liebe. Ersichtlich wird dies nicht nur durch den Spruch „Alles vergeht, nur die Liebe besteht“, sondern auch durch die Darstellung von zwei läutenden (Hochzeits-)Glocken im Torbogen. Ob es sich bei diesem Wandschmuck um ein Geschenk zur Hochzeit – ggf. auch zur silbernen oder goldenen Hochzeit – handelt, lässt sich vermuten. Solch gestickte Sinnsprüche mit dekorativem Beiwerk waren zu ihrer Zeit ein beliebtes Geschenk zur Eheschließung und wurden als Haussegen an die Wand gehangen.
Die Bandbreite der Themen der Sinnsprüche begrenzt sich allerdings nicht nur auf die Liebe. Auch Kommunion, Tod oder Segen für die Landwirtschaft sind gern gewählte Motive. Spruchquellen sind die Bibel, Volksweisheiten und Sprichwörter. Die Segensprüche dekorierten Stuben, Flure, Schlafzimmer und Küchen. Sie sollten ihre Besitzer an tugendhaftes Verhalten erinnern, aber auch ermuntern oder trösten. Sie waren zudem religiöses Bekenntnis. „In Leid und Schmerz schau himmelwärts“, „Nach des Tages Müh und Last Winkt im Heim die süsse Rast“ oder „Rein wie der hellste Edelstein ist Mutterliebe ganz allein“ sind Beispiele für weitere Themenbereiche.
Hergestellt wurden die Haussegensprüche in Form dekorativen Wandschmucks v. a. in Heimarbeit unter Weiterverarbeitung vorgefertigter Halbfabrikate (nicht vollständig fertiggestellte Produkte). Die industrielle Herstellung und die Verwendung imitierender Materialien machten die Produkte erschwinglich und trugen zu ihrer Verbreitung bei. Ihre Blütezeit hatten sie zwischen 1880 und 1920. Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts wurden sie vertrieben.
Wandschmuck: Sinnspruch zur Liebe
kolorierte Zelluloidprägung und Stickerei auf Papierkanevas
Chenillefäden, Goldlamé, Garn, Zelluloid
Bez.: „Alles vergeht, nur die Liebe besteht“
Maße: 48,5 cm x 38,7 cm x 2 cm (mit Rahmen)
HMKV, Inv.-Nr. II 1162
Literatur:
Halbritter, Roland: Gestickte Sprüche fürs Heim. Populärer Wanderschmuck auf Papierkanevas und die Haussegenindustrie, in: Alzheimer, Heidrun/Rausch, Fred G./Reder, Klaus/Selheim, Claudia (Hrsg.): Bilder – Sachen – Mentalitäten. Arbeitsfelder historischer Kulturwissenschaften. Wolfgang Brückner zum 80. Geburtstag, Regensburg 2010, S. 400-411.
Sölter, Ulf: Einführung, in: Sölter, Ulf (Hrsg.): Edelweiß und Goldlamé. Gestickte Haussegen auf Luxuspapier. 5.6.–23.10.2016, Neuss 2016, S. 3.
Pieper, Romina: Der Papierkanevas: Herstellung, Material und Funktion, in: Sölter, Ulf (Hrsg.): Edelweiß und Goldlamé. Gestickte Haussegen auf Luxuspapier. 5.6.–23.10.2016, Neuss 2016, S. 4-11.
Edelweiß und Goldlamé – Clemens Sels Museum Neuss (clemens-sels-museum-neuss.de), aufgerufen am 24.7.2024.