
Jaucheschöpfer, um 1945
Das Alltagsleben in der Nachkriegszeit war geprägt von Entbehrungen, Mangel, Hunger und Not. Es fehlten Dinge des täglichen Bedarfs, nicht nur Nahrungsmittel, sondern auch Kleidung, Arbeitsgerät und Werkzeuge. Reparieren und Umnutzen der wenigen vorhandenen Sachen war die einzige Möglichkeit, den Nachkriegsalltag zu bestreiten.
Der Jaucheschöpfer ist ein anschauliches Beispiel für die kreative Umnutzung und Weiternutzung von unbrauchbar gewordenem Kriegsgerät. Der stählerne Wehrmachtshelm wurde, vermutlich kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs, durch einfaches Umdrehen und durch Anschweißen einer Tülle für den Holzstiel zu einem Schöpfgefäß für Gülle umfunktioniert. Der grün angestrichene Stahlhelm ist noch als solcher zu erkennen. Durch die starke Nutzung ist die Oberfläche stellenweise von Rost befallen. Mit dem Schöpfer wurden Jauchegruben entleert. Die Jauche konnte sodann als Dünger in der Landwirtschaft eingesetzt werden.
Ausgestellt ist der Jaucheschöpfer im Neubauernhaus, das jedoch derzeit wegen Restaurierungsmaßnahmen für Besucher geschlossen ist. Das im Zuge des Neubauernprogramms im Jahr 1948 in nur vier Monaten errichtete Haus diente der Umsiedlerfamilie Haack als Wohn- und Arbeitsort. Unter dem langen Satteldach des Streckhofs sind die Funktionen Wohnen, Stall und Scheune vereint. Eine Remise wurde etwas später angebaut. Das Haus mit seiner Einrichtung veranschaulicht das Leben der Neubauern kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Der in den 1990er Jahren in die Museumssammlung aufgenommene Jaucheschöpfer ergänzt die Ausstellung im Neubauernhaus sehr gut. Seien Sie gespannt, das Neubauernhaus nach der notwendig gewordenen Restaurierung im Frühjahr 2022 wieder zu besuchen.
Literatur
Babace, Wilfried: Der Stahlhelm wird zum Sieb. Kreativität des Notbehelfs – die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Flick-Werk. Reparieren und Umnutzen in der Alltagskultur, Begleitheft zur Ausstellung im Württembergischen Landesmuseum Stuttgart vom 15. Oktober bis 15. Dezember 1983, Stuttgart 1983, S. 135-142.
Bretschneider, Uta: Macht Not erfinderisch? Improvisieren und Selbermachen im ländlichen Raum von SBZ und DDR, in: Volkskundliche Kommission für Thüringen e. V./Thüringer Freilichtmuseum Hohenfelden/Zschäk, Franziska (Hrsg.): Land – Hand – Werk. Beiträge der gemeinsamen Tagung des Thüringer Freilichtmuseums Hohenfelden und der Volkskundlichen Kommission für Thüringen e. V. am 20. Mai 2019 […] (Hohenfeldener Hefte 7), Hohenfelden 2020, S. 77-87.
Segschneider, Ernst Helmut (Bearb.): Zeichen der Not. Als der Stahlhelm zum Kochtopf wurde (Schriften des Westfälischen Freilichtmuseums Detmold – Landesmuseum für Volkskunde 6), Detmold 1989.
Jaucheschöpfer, um 1945
Stahl, gegossen, geschweißt; Holz
Höhe: 191 cm, Breite: 32 cm
HMKV, Inv.-Nr. III 1487


